Ideen-Klau im Glace-Regal

Zwei­mal Vanil­le – ein­mal bei Migros, ein­mal bei Coop.

Ver­pa­ckungs­de­sign – auch so eine net­te Nische. Und zwar eine, in der es pri­mär dar­um geht, das Pro­dukt ver­kaufs­för­dernd ein­zu­pa­cken. Mar­ke­ting-Über­le­gun­gen spie­len hier also oft die grös­se­re Rol­le als die Ästhe­tik. Nur manch­mal, da wird etwas Kult. Zum Bei­spiel die Glace-Ver­pa­ckun­gen der Migros, mit See­hund, Affe und Bär. Geschaf­fen wur­den sie 1975 vom dama­li­gen Migros-Chef­ver­pa­ckungs­de­si­gner Hans Uster, der eige­nen Aus­sa­gen zufol­ge gar nicht all­zu­viel über­legt hat, als er die­se Sujets schuf. Was wie­der mal zeigt, dass gutes Design oft dann ent­steht, wenn man gedank­lich gar nicht all­zu­viel rein­pro­je­ziert, son­dern sich ein­fach lei­ten lässt. Dass die Designs Kult­cha­rak­ter haben, dafür hat auch die Migros ein paar Jah­re gebraucht, um das fest­zu­stel­len – dafür wird dies jetzt umso­mehr aus­ge­schlach­tet; inzwi­schen gibt es auch See­hund-Tas­sen, See­hund-Tel­ler und See­hund-was-weiss-ich-noch alles.

Und inzwi­schen ist auch die Kon­kur­renz auf den Zug auf­ge­sprun­gen. Coop hat sei­ne Glace-Designs über­ar­bei­tet. Man kam auf die ori­gi­nel­le Idee, irgend­was mit Tie­ren zu machen. Doch las­sen wir erst mal die Bil­der spre­chen – links jeweils das Migros-Ori­gi­nal, rechts der neu­es­te Wurf von Coop:

Nun gibt es zwei Mög­lich­kei­ten, wie Coop zu die­sem Design gekom­men ist:

Mög­lich­keit A: Man hat beschlos­sen, die Glace­ver­pa­ckung neu zu über­ar­bei­ten. Damit ist man in die Gra­fik­ab­tei­lung gegan­gen mit der Auf­for­de­rung «macht mal was». Die Gra­fik­ab­tei­lung legt ganz unvor­ein­ge­nom­men los, schnell reift die Idee, Tie­re als Sujets zu ver­wen­den, das kommt ja bei der pri­mä­ren Ziel­grup­pe (Kin­der!) immer gut an. Das Design durch­läuft alle inter­nen Geneh­mi­gungs­stu­fen und geht so raus. Erst, nach­dem es ver­öf­fent­licht ist, stellt man fest, dass gewis­se Ähn­lich­kei­ten zum Migros-Design bestehen – das ist aber nur ein dum­mer Zufall und hat mit dem grund­sätz­li­chen Design-Pro­blem zu tun, dass halt alles irgend­wie schon mal da war.

Mög­lich­keit B: Was bei der Kon­kur­renz gut funk­tio­niert, macht sich auch im eige­nen Regal gut. Das Mar­ke­ting spricht also in der Gra­fik­ab­tei­lung vor mit dem dezen­ten Hin­weis, dass man was ähn­li­ches wie beim Kon­kur­ren­ten machen soll; so ein biss­chen ähn­lich, nicht all­zu­sehr zwar, aber so mit Tie­ren und Krei­sen halt. All­fäl­li­ge kri­ti­sche Rück­fra­gen von der Gra­fik­ab­tei­lung wer­den damit abge­tan, dass es nie falsch ist, wenn man auf bereits bewähr­te Design-Ideen setzt.

Ich habe zwar kei­nen Ein­blick in die Ver­pa­ckungs-Design-Pro­zes­se bei Coop. Trotz­dem spricht wohl mehr für die Mög­lich­keit B, wenn man die Designs genau­er anschaut:

Tie­re: Jedes Kind liebt Tie­re, war­um also nicht beim Glace dar­auf set­zen. Aus einem See­hund mit Flos­sen wird ergo ein Peli­kan mit Flü­geln; aus einem Affen, der den Arm in die Höhe streckt, wird ein Nil­pferd, dass den Arm in die Höhe streckt. Aus dem Raub­tier Bär wird das Raub­tier Löwe.

Krei­se: Die Geschmacks­rich­tung des Glaces steht jeweils in einem Kreis. Immer­hin hat man das bei Coop etwas vari­iert: Bei Migros ist der Kreis klein, bei Coop gross.

Schim­mer rund um das Glace: Bei Migros hat das abge­bil­de­te Glace jeweils als Kon­tur einen weis­sen Schim­mer. Bei Coop auch. Immer­hin hat­te man bei Coop nocht die glat­te Idee, das Glace auf den Kopf zu stel­len. Wie bei der Migros befin­det es sich aber genau auf der Mit­te der Verpackung.

Hin­ter­grund­far­be als Flä­che: Migros machts vor, Coop machts nach. Aber man war anstän­dig genug, nicht die­sel­ben Far­ben wie bei der Migros zu neh­men. Bei der Erd­beer-Packung etwa hat man auf ein etwas dunk­le­res Rot gesetzt.

Kalo­rien­hin­weis in der rech­ten unte­ren Ecke: Wenns die Migros dort unten hin­setzt, kann es ja nicht schlecht sein. Also prangt er auch bei Coop an der­sel­ben stelle.

Anzahl Glace im Kar­ton: Bei Migros 12 Stück. Bei Coop 12 Stück.

Preis: Bei Migros kos­tet eine Schach­tel mit zwölf Glace­stän­geln 7.20 Fran­ken. Bei Coop auch.

Ist das also alles nur Zufall? Bestimmt. Einen deut­li­chen Unter­schied gibt es aller­dings: Bei der Migros ist das Glace-Design schon Kult. Bei Coop muss sich das erst noch ent­wi­ckeln. In zehn bis zwan­zig Jah­ren wis­sen wir dann mehr.



Design im Wein­an­bau­ge­biet (2/2)

Ein kei­nes Gedan­ken­spiel: Wie stellt man sich jeman­den vor, der auf sei­ne Wei­ne eine sol­che Eti­ket­te klebt?

Wagen wir mal eine klei­ne Inter­pre­ta­ti­on: Da setzt jemand auf Tra­di­ti­on und Geschichts­be­wusst­sein. Die Moder­ne hat hier noch nicht Ein­zug gehal­ten. Alles ist gut so wie es ist, und das seit Jah­ren. Als Kon­su­ment eines sol­chen Trop­fens kann man sich dar­auf ver­las­sen, dass man bestän­di­ge Qua­li­tät bekommt. Alles hat hier sei­nen gere­gel­ten Gang, Expe­ri­men­te braucht es hier nicht. Die Eti­ket­te sieht seit Jahr­zehn­ten gleich aus, und einen moder­nen Gra­fi­ker wird man hier nie ans Werk las­sen. Aber gut, Leu­te, die sol­che Initia­len wie auf der Eti­ket­te malen kön­nen, deren Kunst­fer­tig­keit ist ja auch nicht ganz zu verachten.

Ich hat­te Gele­gen­heit, das Wein­gut zu besu­chen, wel­ches die­se Eti­ket­ten her­stellt. Es war ein Aus­flug in längst ver­gan­ge­ne Zei­ten. Wäh­rend moder­ne Win­zer ihrer Arbeit auch visu­ell eine moder­ne Spra­che ver­lei­hen (schön ein­ge­rich­te­te Wein­kel­ler, moder­ne Eti­ket­ten, ein gewis­se Stil­ge­fühl), ist die­ses Wein­gut hier sozu­sa­gen die Ani­the­se zum moder­nen Wein­we­sen – und ver­leiht dem auch visu­ell Aus­druck. Doch stel­len wir zuerst mal den Win­zer vor. Das hier ist er, Paul Pernot:

Der Win­zer Paul Per­not im Gespräch.

Paul hat sein Wein­gut im Griff. Der Mann, inzwi­schen weit über 70, hält die Zügel fest in der Hand. Zwar hat er das Tages­ge­schäft längst sei­nen Söh­nen über­tra­gen; trotz­dem schaut er ihnen sehr genau auf die Fin­ger. Und legt Wert auf Bestän­dig­keit, wie er selbst bekräftigt:

Wir machen unse­re Wei­ne immer gleich. Seit Jahrzehnten.

Degus­tiert man Wein, so wird man bei moder­nen Win­zern in einen schön aus­ge­bau­ten Wein­kel­ler gebe­ten. Bei Paul ist das anders. Die Ver­kos­tung fin­det in einer öden Lager­hal­le statt, deren Charme und innen­ar­chi­tek­to­ni­scher Wert gegen Null tendiert:

Blick in die Lager­hal­le von Paul  Pernot

Degus­tiert wird einem der Wein an die­sem mit schwar­zer Folie über­spann­ten Tisch. Zele­briert wird das nicht spe­zi­ell. Alles läuft hier sehr prag­ma­tisch ab. Bevor man den Wein degus­tie­ren darf, wird einem die Preis­lis­te gereicht. Das ist nicht etwa eine Excel-Tabel­le, auch kein Doku­ment, das in Word erzeugt wur­de. Nein, hier tut es noch die gute alte Schreibmaschine:

Preis­lis­te des Wein­guts von Paul Pernot.

Von Com­pu­tern hält man hier sowie­so wenig, Gerüch­ten zu Fol­ge steht hier nir­gends so ein Gerät. Auf die Fra­ge mei­nes Kol­le­gen (ein aus­ge­wie­se­ner Wein­ken­ner), wie man denn  Wein bestel­len könn­te, war dies die – ernst gemein­te – Antwort:

Schi­cken Sie mir ein Fax.

Immer­hin hat­te sich Mon­sieur Paul in sei­ner Lager­hal­le auch ein klei­nes Büro ein­ge­rich­tet. Dort sticht einem ein Schnur­los-Tele­fon ins Auge, soweit geht man dann tech­no­lo­gisch doch. Aber anstatt die Tele­fon­num­mern im Tele­fon zu hin­ter­le­gen, wer­den die­se lie­ber auf ein Stück Kar­ton geschrie­ben, das dann gut sicht­bar plat­ziert wird:

Büro in der Lager­hal­le auf dem Wein­gut von Paul Pernot.

Auch in der Logis­tik setzt man auf Kar­ton. Die Lie­fe­run­gen ins Aus­land wer­den nicht etwa mit einem moder­nen Lie­fer­schein aus­ge­stat­tet. Son­dern auf Kar­ton­stü­cken auf­ge­lis­tet, und zwar fein säuberlich:

Wein, fer­tig zum Aus­lie­fern auf dem Wein­gut Paul Pernot.

In Krea­tiv­krei­sen behaup­tet man ja immer ger­ne, dass ein biss­chen Cha­os der Krea­ti­vi­tät kei­nen Abbruch tut. Ähn­li­ches lässt sich viel­leicht auch in der Wein­bran­che sagen. Eine Detail­auf­nah­me aus der Lager­hal­le: Hier sta­peln sich Wein­eti­ket­ten, aus­ge­dien­te Wein­kis­ten, Kar­ton­schach­teln uns sogar ein paar uneti­ket­tier­te Wein­fla­schen, deren Inhalt aber wohl nur der Chef selbst ken­nen dürfte:

Blick in die Lager­hal­le von Paul Pernot.

Auch wenn es auf dem Wein­gut Per­not also hemds­ärm­lig zu und her geht, darf man nicht unter­schla­gen, dass hier tol­le Wei­ne pro­du­ziert wer­den. Wäh­rend moder­ne Win­zer aber ihren Wein auch etwas zele­brie­ren und ger­ne über ihre Arbeit und ihre Metho­den spre­chen, ist Paul eher ein Mann der weni­gen Wor­te. Das Phi­lo­so­phie­ren über den Wein liegt ihm nicht, was auch nicht nötig ist, denn er steht für ande­re Wer­te: Für das Bestän­di­ge und Tra­di­tio­nel­le. Das muss ja nicht a prio­ri schlecht sein. Aber ich gebs zu: Visu­ell zumin­dest war der Besuch bei Mon­sieur Paul ein beson­de­res Erleb­nis. Jetzt muss ich nur noch schau­en, wo ich mei­ne vor 15 Jah­ren ein­ge­mot­te­te Fax­ma­schi­ne ver­sorgt habe.

Paul Per­not in der Lager­hal­le sei­nes Weinguts.

Design im Wein­an­bau­ge­biet (1/2)

Kürz­lich hat­te ich das Ver­gnü­gen, ein paar Tage im Bur­gund zu ver­brin­gen. So endet es halt, wenn man Wein­freaks zu sei­nen Freun­den zählt. Natür­lich haben wir viel Wein getrun­ken und den einen oder ande­ren Win­zer besucht. Doch dar­über kann besag­ter Wein­freund bes­ser Aus­kunft geben. Hier soll es um einen ganz ande­ren Aspekt des Bur­gun­des gehen: Näm­lich dar­um, wie die Wein­re­gi­on design­mäs­sig so insze­niert wird.

Nun muss man ganz grund­sätz­lich sagen, dass das Bur­gund zu den schöns­ten Regio­nen auf unse­rem Kon­ti­nent zählt. Über­all zie­hen sich die Wein­re­ben male­risch den «hei­li­gen Hügeln» (O‑Ton Wein­freund) ent­lang. Die Dör­fer im Bur­gund: Wie gemalt. Stein­häu­ser all­über­all, nir­gends eine archi­tek­to­ni­sche Bau­sün­de weit und breit. Die Fran­zo­sen haben eben einen Sinn für (auch all­täg­li­che) Ästhe­tik, das spürt man hier an jeder Ecke.

Design­mäs­sig gibt es hier eine klei­ne Nische zu ent­de­cken: Die Wein­re­gi­ons-Beschrif­tung. Signage-Design im Land des Spit­zen­wei­nes also. Schrif­ten­ma­ler schei­nen hier reich­lich Arbeit zu haben. Wohin man schaut: Hier wer­den Beschrif­tun­gen nicht digi­tal pro­du­ziert und auf irgend­wel­che Kunst­stoff­plat­ten gepappt, son­dern im Regel­fall von Hand gemalt. Das hat­te was herr­lich indi­vi­du­el­les und gab der Regi­on  ein lie­be­vol­les Gesicht – man spürt so auch rein visu­ell, dass Wein hier eine Her­zens­an­ge­le­gen­heit ist.

Schaut man dann bei den Wein­gü­tern vor­bei, dann setzt sich dort der ästhe­ti­sche Ein­druck fort: Die guten Win­zer wol­len auch ein anstän­di­ges Logo und anstän­di­ge Wein­eti­ket­ten haben und sind sich nicht zu scha­de, dafür einen guten Gra­fi­ker zu enga­gie­ren. Schliess­lich hat man ja auch einen Ruf zu verlieren.

Nur ein Ort war ästhe­tisch etwas schwie­rig, das lag vor allem an Mon­sieur Paul. Doch dar­um soll es im nächs­ten Post gehen.

Mit einem Klick auf die unten­ste­hen­de Bild­ga­le­rie gibt es ein paar kom­men­tier­te Bei­spie­le von bur­gun­di­schem Wein-Design:

Der Unfall

Tja, die «20-Minu­ten-Design-Aus­ga­be» ist wohl einer der gröss­ten Design-Unfäl­le in der schwei­zer Print­land­schaft. Das ist eigent­lich scha­de, wenn man das mal rein aus dem Design-Blick­win­kel anschaut (die Ver­mi­schung von redak­tio­nel­lem Inhalt mit Wer­bung ist eine ande­re Geschich­te): Denn immer­hin wur­de da hin­ter den Kulis­sen von der Krea­tiv­mann­schaft viel Arbeit rein­ge­steckt. Scha­de auch für das Luzer­ner Stu­dio Fei­xen, das eigent­lich recht coo­les Zeugs macht, gera­de auch im Poster­be­reich. Es ist sehr frus­trie­rend für Gestal­ter, wenn man soviel Ener­gie in ein Pro­jekt steckt und am Schluss der Fun­ken nicht zündet.

Die Fra­ge ist, war­um da intern nicht frü­her die Alarm­glo­cken geläu­tet haben. Denn eigent­lich ist es ja eine alte Wahr­heit im Zei­tungs­de­sign, dass die Les­bar­keit der Arti­kel nie­mals tan­giert wer­den darf; sie ist nahe­zu hei­lig. Wenn sie dann noch kom­mer­zi­el­len Inter­es­sen geop­fert wird, dann stösst das erwar­tungs­ge­mäss im Publi­kum auf wenig Gegen­lie­be. Expe­ri­men­tie­ren ist natür­lich in Ord­nung, die Anzahl der 08/15-Zei­tungs­sei­ten ist auch so immer noch hoch genug, so dass man ger­ne mal design­mäs­sig auf­bre­chen darf und soll – aber nicht auf Kos­ten des inhalts.

Zu guter Letzt: Wenn man hin­ter die Farb­kleck­se der Design-Aus­ga­be blickt, offen­bart sich etwas span­nen­des – für die Arti­kel wur­den neue Schrif­ten ein­ge­setzt. Und das sieht gar nicht mal so schlecht aus, wenn man sich die Far­be weg­denkt. Als eigent­lich urban ori­en­tier­te Zei­tung hät­te 20 Minu­ten durch­aus mal ein moder­ne­res Lay­out als das heu­ti­ge ver­dient; gera­de in Skan­di­na­vi­en gibt es vie­le toll design­te Gra­tis­ti­tel. Viel­leicht könn­te man sich da mal inspi­rie­ren las­sen. Das ist mei­ne rein pri­va­te Mei­nung, die in keins­ter Art als Kol­le­gen­schel­te zu ver­ste­hen ist.