Design im Wein­an­bau­ge­biet (2/2)

Ein kei­nes Gedan­ken­spiel: Wie stellt man sich jeman­den vor, der auf sei­ne Wei­ne eine sol­che Eti­ket­te klebt?

Wagen wir mal eine klei­ne Inter­pre­ta­ti­on: Da setzt jemand auf Tra­di­ti­on und Geschichts­be­wusst­sein. Die Moder­ne hat hier noch nicht Ein­zug gehal­ten. Alles ist gut so wie es ist, und das seit Jah­ren. Als Kon­su­ment eines sol­chen Trop­fens kann man sich dar­auf ver­las­sen, dass man bestän­di­ge Qua­li­tät bekommt. Alles hat hier sei­nen gere­gel­ten Gang, Expe­ri­men­te braucht es hier nicht. Die Eti­ket­te sieht seit Jahr­zehn­ten gleich aus, und einen moder­nen Gra­fi­ker wird man hier nie ans Werk las­sen. Aber gut, Leu­te, die sol­che Initia­len wie auf der Eti­ket­te malen kön­nen, deren Kunst­fer­tig­keit ist ja auch nicht ganz zu verachten.

Ich hat­te Gele­gen­heit, das Wein­gut zu besu­chen, wel­ches die­se Eti­ket­ten her­stellt. Es war ein Aus­flug in längst ver­gan­ge­ne Zei­ten. Wäh­rend moder­ne Win­zer ihrer Arbeit auch visu­ell eine moder­ne Spra­che ver­lei­hen (schön ein­ge­rich­te­te Wein­kel­ler, moder­ne Eti­ket­ten, ein gewis­se Stil­ge­fühl), ist die­ses Wein­gut hier sozu­sa­gen die Ani­the­se zum moder­nen Wein­we­sen – und ver­leiht dem auch visu­ell Aus­druck. Doch stel­len wir zuerst mal den Win­zer vor. Das hier ist er, Paul Pernot:

Der Win­zer Paul Per­not im Gespräch.

Paul hat sein Wein­gut im Griff. Der Mann, inzwi­schen weit über 70, hält die Zügel fest in der Hand. Zwar hat er das Tages­ge­schäft längst sei­nen Söh­nen über­tra­gen; trotz­dem schaut er ihnen sehr genau auf die Fin­ger. Und legt Wert auf Bestän­dig­keit, wie er selbst bekräftigt:

Wir machen unse­re Wei­ne immer gleich. Seit Jahrzehnten.

Degus­tiert man Wein, so wird man bei moder­nen Win­zern in einen schön aus­ge­bau­ten Wein­kel­ler gebe­ten. Bei Paul ist das anders. Die Ver­kos­tung fin­det in einer öden Lager­hal­le statt, deren Charme und innen­ar­chi­tek­to­ni­scher Wert gegen Null tendiert:

Blick in die Lager­hal­le von Paul  Pernot

Degus­tiert wird einem der Wein an die­sem mit schwar­zer Folie über­spann­ten Tisch. Zele­briert wird das nicht spe­zi­ell. Alles läuft hier sehr prag­ma­tisch ab. Bevor man den Wein degus­tie­ren darf, wird einem die Preis­lis­te gereicht. Das ist nicht etwa eine Excel-Tabel­le, auch kein Doku­ment, das in Word erzeugt wur­de. Nein, hier tut es noch die gute alte Schreibmaschine:

Preis­lis­te des Wein­guts von Paul Pernot.

Von Com­pu­tern hält man hier sowie­so wenig, Gerüch­ten zu Fol­ge steht hier nir­gends so ein Gerät. Auf die Fra­ge mei­nes Kol­le­gen (ein aus­ge­wie­se­ner Wein­ken­ner), wie man denn  Wein bestel­len könn­te, war dies die – ernst gemein­te – Antwort:

Schi­cken Sie mir ein Fax.

Immer­hin hat­te sich Mon­sieur Paul in sei­ner Lager­hal­le auch ein klei­nes Büro ein­ge­rich­tet. Dort sticht einem ein Schnur­los-Tele­fon ins Auge, soweit geht man dann tech­no­lo­gisch doch. Aber anstatt die Tele­fon­num­mern im Tele­fon zu hin­ter­le­gen, wer­den die­se lie­ber auf ein Stück Kar­ton geschrie­ben, das dann gut sicht­bar plat­ziert wird:

Büro in der Lager­hal­le auf dem Wein­gut von Paul Pernot.

Auch in der Logis­tik setzt man auf Kar­ton. Die Lie­fe­run­gen ins Aus­land wer­den nicht etwa mit einem moder­nen Lie­fer­schein aus­ge­stat­tet. Son­dern auf Kar­ton­stü­cken auf­ge­lis­tet, und zwar fein säuberlich:

Wein, fer­tig zum Aus­lie­fern auf dem Wein­gut Paul Pernot.

In Krea­tiv­krei­sen behaup­tet man ja immer ger­ne, dass ein biss­chen Cha­os der Krea­ti­vi­tät kei­nen Abbruch tut. Ähn­li­ches lässt sich viel­leicht auch in der Wein­bran­che sagen. Eine Detail­auf­nah­me aus der Lager­hal­le: Hier sta­peln sich Wein­eti­ket­ten, aus­ge­dien­te Wein­kis­ten, Kar­ton­schach­teln uns sogar ein paar uneti­ket­tier­te Wein­fla­schen, deren Inhalt aber wohl nur der Chef selbst ken­nen dürfte:

Blick in die Lager­hal­le von Paul Pernot.

Auch wenn es auf dem Wein­gut Per­not also hemds­ärm­lig zu und her geht, darf man nicht unter­schla­gen, dass hier tol­le Wei­ne pro­du­ziert wer­den. Wäh­rend moder­ne Win­zer aber ihren Wein auch etwas zele­brie­ren und ger­ne über ihre Arbeit und ihre Metho­den spre­chen, ist Paul eher ein Mann der weni­gen Wor­te. Das Phi­lo­so­phie­ren über den Wein liegt ihm nicht, was auch nicht nötig ist, denn er steht für ande­re Wer­te: Für das Bestän­di­ge und Tra­di­tio­nel­le. Das muss ja nicht a prio­ri schlecht sein. Aber ich gebs zu: Visu­ell zumin­dest war der Besuch bei Mon­sieur Paul ein beson­de­res Erleb­nis. Jetzt muss ich nur noch schau­en, wo ich mei­ne vor 15 Jah­ren ein­ge­mot­te­te Fax­ma­schi­ne ver­sorgt habe.

Paul Per­not in der Lager­hal­le sei­nes Weinguts.
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