Ein keines Gedankenspiel: Wie stellt man sich jemanden vor, der auf seine Weine eine solche Etikette klebt?
Wagen wir mal eine kleine Interpretation: Da setzt jemand auf Tradition und Geschichtsbewusstsein. Die Moderne hat hier noch nicht Einzug gehalten. Alles ist gut so wie es ist, und das seit Jahren. Als Konsument eines solchen Tropfens kann man sich darauf verlassen, dass man beständige Qualität bekommt. Alles hat hier seinen geregelten Gang, Experimente braucht es hier nicht. Die Etikette sieht seit Jahrzehnten gleich aus, und einen modernen Grafiker wird man hier nie ans Werk lassen. Aber gut, Leute, die solche Initialen wie auf der Etikette malen können, deren Kunstfertigkeit ist ja auch nicht ganz zu verachten.
Ich hatte Gelegenheit, das Weingut zu besuchen, welches diese Etiketten herstellt. Es war ein Ausflug in längst vergangene Zeiten. Während moderne Winzer ihrer Arbeit auch visuell eine moderne Sprache verleihen (schön eingerichtete Weinkeller, moderne Etiketten, ein gewisse Stilgefühl), ist dieses Weingut hier sozusagen die Anithese zum modernen Weinwesen – und verleiht dem auch visuell Ausdruck. Doch stellen wir zuerst mal den Winzer vor. Das hier ist er, Paul Pernot:
Paul hat sein Weingut im Griff. Der Mann, inzwischen weit über 70, hält die Zügel fest in der Hand. Zwar hat er das Tagesgeschäft längst seinen Söhnen übertragen; trotzdem schaut er ihnen sehr genau auf die Finger. Und legt Wert auf Beständigkeit, wie er selbst bekräftigt:
Wir machen unsere Weine immer gleich. Seit Jahrzehnten.
Degustiert man Wein, so wird man bei modernen Winzern in einen schön ausgebauten Weinkeller gebeten. Bei Paul ist das anders. Die Verkostung findet in einer öden Lagerhalle statt, deren Charme und innenarchitektonischer Wert gegen Null tendiert:
Degustiert wird einem der Wein an diesem mit schwarzer Folie überspannten Tisch. Zelebriert wird das nicht speziell. Alles läuft hier sehr pragmatisch ab. Bevor man den Wein degustieren darf, wird einem die Preisliste gereicht. Das ist nicht etwa eine Excel-Tabelle, auch kein Dokument, das in Word erzeugt wurde. Nein, hier tut es noch die gute alte Schreibmaschine:
Von Computern hält man hier sowieso wenig, Gerüchten zu Folge steht hier nirgends so ein Gerät. Auf die Frage meines Kollegen (ein ausgewiesener Weinkenner), wie man denn Wein bestellen könnte, war dies die – ernst gemeinte – Antwort:
Schicken Sie mir ein Fax.
Immerhin hatte sich Monsieur Paul in seiner Lagerhalle auch ein kleines Büro eingerichtet. Dort sticht einem ein Schnurlos-Telefon ins Auge, soweit geht man dann technologisch doch. Aber anstatt die Telefonnummern im Telefon zu hinterlegen, werden diese lieber auf ein Stück Karton geschrieben, das dann gut sichtbar platziert wird:
Auch in der Logistik setzt man auf Karton. Die Lieferungen ins Ausland werden nicht etwa mit einem modernen Lieferschein ausgestattet. Sondern auf Kartonstücken aufgelistet, und zwar fein säuberlich:
In Kreativkreisen behauptet man ja immer gerne, dass ein bisschen Chaos der Kreativität keinen Abbruch tut. Ähnliches lässt sich vielleicht auch in der Weinbranche sagen. Eine Detailaufnahme aus der Lagerhalle: Hier stapeln sich Weinetiketten, ausgediente Weinkisten, Kartonschachteln uns sogar ein paar unetikettierte Weinflaschen, deren Inhalt aber wohl nur der Chef selbst kennen dürfte:
Auch wenn es auf dem Weingut Pernot also hemdsärmlig zu und her geht, darf man nicht unterschlagen, dass hier tolle Weine produziert werden. Während moderne Winzer aber ihren Wein auch etwas zelebrieren und gerne über ihre Arbeit und ihre Methoden sprechen, ist Paul eher ein Mann der wenigen Worte. Das Philosophieren über den Wein liegt ihm nicht, was auch nicht nötig ist, denn er steht für andere Werte: Für das Beständige und Traditionelle. Das muss ja nicht a priori schlecht sein. Aber ich gebs zu: Visuell zumindest war der Besuch bei Monsieur Paul ein besonderes Erlebnis. Jetzt muss ich nur noch schauen, wo ich meine vor 15 Jahren eingemottete Faxmaschine versorgt habe.