Die Editorial-Design-Agenturen in diesem Land dürfen sich schon mal in Stellung bringen: Am Horizont lauert ein Grossauftrag. Wie der Verlag Tamedia am Mittwoch bekannt gab, will er seine Mantelredaktion in «Kompetenzzentren» bündeln (was für ein technokratisches Wort!). Damit das möglich ist, will man ab Mitte 2018 auch das Layout für alle Tamedia-Titel in der Deutschschweiz vereinheitlichen.
Um das mal zu verdeutlichen: Wir sprechen hier von einer täglichen gedruckten Auflage von rund 385’000 Exemplaren und von über einer Million Lesern. Umfassen wird dies mindestens 10 Titel (Tages Anzeiger, Der Bund, Berner Zeitung mit ihren Kopfblättern Berner Oberländer, Langenthaler Tagblatt und Thuner Tagblatt, Der Landbote, Zürcher Oberländer und Zürcher Unterländer). Was für eine Aufgabe! Wer mit dem Ersinnen dieses Layouts beauftragt wird, dem dürfen schon mal Nerven aus Stahl, Geduld und Diskussionsfreudigkeit gewünscht werden. Ein Layout auf soviele Titel auszurollen ist ein Kraftakt. Aber immerhin darf man sich dann damit brüsten, auflagenmässig das am meisten verbreitete Zeitungslayout in diesem Land kreiert zu haben.
Ganz neu ist das ja nicht, denn die Layout-Teilete ist schon heute gang und gäbe im Hause Tamedia:
- Tages Anzeiger und Der Bund erscheinen heute schon im gleichen Layout, weshalb ja der Bund ironisch «der kleine Tagi» genannt wird, nachdem ihm das Tagi-Layout übergestülpt wurde. Das aktuelle Layout des Tages Anzeigers stammt aus dem Jahr 2009 und wurde 2014 leicht aufgefrischt. Entwickelt wurde das Design von den Zürcher Gestaltern Tom Menzi und Daniel Stäheli. In ihrem Entwurf haben sich die Designer an den «Guardian» angelehnt; da und dort wurde auch etwas gar offensichtlich abgekupfert. Von der Anmutung her wirkt das Tagi-Layout auf den Standardseite heute recht bleiern; der erzwungene Weissraum zwischen den Titeleien und den Artikeln mutet hingegen etwas gar grosszügig an. Spaltenmässig wird im Grundsatz der Fünfspalter gefahren, was eigentlich gut funktioniert. Auf gewissen Seiten hingegen regiert der Vierspalter (z. B. auf der Seite «Hintergrund & Debatte»). Man will damit wohl gewissen Texten Gewicht verleihen, allerdings entstehen daraus recht lange Zeilen – ich selbst werde mit dem Vierspalter nicht ganz warm. Auch der Sechsspalter hat im Tagi seinen Platz: Auf der «Kehrseite» – den vermischten Meldungen gönnt man offenbar etwas mehr Dynamik im Spaltensatz.
- Auch alle Regionalzeitungen bei Tamedia erscheinen heute schon im Einheitslayout, dass dann je nach Titel leicht variiert wird. Die Basis dafür ist das Grundlayout der Berner Zeitung. Das aktuelle Layout wurde bei der BZ im Herbst 2011 eingeführt und stammt vom Berliner Grafikbüro Twotype. 2014 dann wurde das Layout auf die übrigen Regionaltitel (Landbote, Zürichsee Zeitung) ausgerollt. Die Zeitungen erscheinen durchgehend im sechsspaltigen Layout. Dieses wird aber oft überstrapaziert. So kann es sein, dass etwa bei Themen-Doppelseiten eine Story über 12 Spalten gefahren wird, was dann aber sehr flatterhaft und verwirrt anmutet. Auf gewissen Regionalseiten wird Artikel auf Artikel gestapelt, was im Sechsspalter erfahrungsgemäss nicht gut kommt. Der Sechsspalter erfordert klar gestaltete Seiten mit guten Schwerpunkten, damit das Spaltenwirrwarr nicht zu beliebig wirkt.
Nun also macht man sich an die Aufgabe, ein Einheitslayout für alle Titel zu entwerfen. Kaum war die Meldung zum Layout raus, konnte man in den sozialen Medien den gern zitierten Spruch vom «Einheitsbrei» lesen, der jetzt noch mehr grassiere. Vom Identitätsverlust der Regionaltitel war die Rede.
Doch vielleicht ist hier eine pragmatischere Sichtweise durchaus angezeigt. Es war früher tatsächlich so, dass jede Regionalzeitung in diesem Land ihr eigenes Layout hatte. Ja, das kann identitätsstiftend gewirkt haben. Das Problem aber war, dass diese Layouts nicht immer zu überzeugen vermochten. Das andere Problem bei vielen Regionalzeitungen ist, dass inhouse oft nicht allzuviel Layoutkompetenz da ist – man hat sich also ein Redesign geleistet, aber das Layout dann nicht gut angewendet und schlecht gepflegt. Das beste Layout nützt leider nichts, wenn nicht Leute da sind, welche das formal entsprechend umsetzen können.
Von der Philosophie «Jede Zeitung muss anders sein» ist man in den letzten Jahren sowieso weggekommen, natürlich auch bedingt durch den medialen Konzentrationsprozess in diesem Land. Und auch wenn es bei solchen Vereinheitlichungen zuerst immer Aufstand im Publikum gab, hat man sich dann mittelfristig doch damit arrangiert. Oder anders gesagt: Der Winterthurer zieht seine Identität wohl kaum aus dem Aussehen der Zeitung heraus – es ist ihm vermutlich sogar ziemlich egal, ob jetzt die Berner Zeitung ähnlich aussieht, denn die hat er ja sowieso nicht abonniert. Da ist es also viel wichtiger, dass man den Redaktionen taugliche Layouts anbietet und diese pflegt, statt überall eine teure Speziallösung zu unterhalten. Besser man investiert in ein sehr gutes Layout statt in viele schlechte.
Die grösste Hürde im Tamedia-Projekt scheint mir, dass sowohl der Tagi und der Bund als auch die Regionalzeitungen das künftige Layout teilen – die Unterscheidbarkeit zwischen den schwergewichtigen Blättern und den Regionaltiteln wird aufgehoben. Besonders absurd könnte die Situation in Bern werden, wo der Bund und die Berner Zeitung dann in demselben Layout daherkommen – natürlich kann man die Schmuckfarben noch etwas variieren, und weiterhin hat jede Zeitung noch ihren eigenen Zeitungskopf. Ob das aber zur Differenzierung ausreicht, wird sich weisen müssen.
Den Tamedia-Verantwortlichen ist also in Sachen Layout ein glückliches Händchen zu wünschen. Der Verlag steht auch in der Pflicht, hier einen anständigen Wurf zu präsentieren und nicht etwas zu erfinden, das nur den Kompromissen genügt. Der Grund für die Layoutrevision ist hier ja nicht optischer Natur, sondern dass man alle Titel künftig problemlos mit den Inhalten der «Kompetenzzentren» bestücken kann. Trotzdem darf dies bei der Kreation des neuen Layouts nicht der einzige Treiber sein; das neue Layout muss auch optisch, formal und inhaltich höchsten Ansprüchen genügen, trotz aller Synergienbestrebungen. Und es müssen die Voraussetzungen geschaffen werden, dass dieses Layout dann in den vielen Redaktionen auch konsequent angewendet werden kann, gerade auch in den Regionalteilen. Es ist zu hoffen, dass dem Verlag dieser sehr anspruchsvolle Spagat gelingt – und ich bin schon jetzt gespannt auf das Ergebnis. Und zumindest einen Wunsch hätte ich noch an die Verantwortlichen: Dass sie Schweizer Designer mit dem Projekt beauftragen. Es gibt in diesem Land genug fähige Leute, die so etwas beherrschen. Und wenn man schon über eine Million Leser in diesem Land anspricht, ist es nichts mehr als recht, wenn hier auch Schweizer Kompetenz hinter dem Layout steckt. Nicht umsonst hat die Schweiz eine lange grafische Tradition, die von manchen Verlagshäusern aber leider ignoriert wird.